die Geschichte des § 63 StGB

+++ Geschichte des § 63 StGB – Diagnose Rentenneurose – +++

Geschichte § 63 STGB

Diagnose Rentenneurose – Zur Geschichte des § 63 StGB

Autorin: Eva Schwenk            Para §63

 

Alles hat seine Geschichte. Die Dampfmaschine, die Raumfahrt, die Porzellanherstellung, der Computer, die Malerei, das Strafgesetzbuch, die Psychiatrie. Bei allem entwickelt sich das eine aus dem anderen und baut darauf auf. Cesare Lombroso, ein Professor für Psychiatrie beschäftigte sich mit dem Verbrechen. Im Jahr 1876 veröffentliche er ein Buch über den „Verbrechermenschen“. Genies, Irrsinnigen und Kriminellen sei ein degenerativer, ein entarteter Zustand gemeinsam schrieb der Psychiater und war überzeugt, dass es den geborenen Verbrecher gibt, was an körperlichen Merkmalen erkennbar sei, schon in der Kindheit. https://de.wikipedia.org/wiki/Cesare_Lombroso

Im Jahr 2015 erklärte der Bundesrichter Prof. Dr. Thomas Fischer in einer Kolumne, warum die seelisch Kranken bei Begehung einer Straftat freigesprochen werden. Sie können das Unrecht ihrer Tat nicht einsehen und nicht nach dieser Einsicht handeln, daher kann ihnen die Tat nicht vorgeworfen werden. Sie werden nicht bestraft, sondern zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verurteilt, http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-11/schuld-schutzstrafrecht-fischer-im-recht/komplettansicht

Dazwischen liegt die Zeit des Nationalsozialismus. Ein Jurist und ein Psychiater, Prof. Dr. Karl Binding und Prof. Dr. Alfred Hoche, haben im Jahr 1920 „Die Freigabe der Vernichtung unwerten Lebens“ angeregt, aus Mitleid und aus ökonomischen Gründen,http://www.staff.unimarburg.de/~rohrmann/Literatur/binding.html

Im Jahr 1933 haben die Nationalsozialisten das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ verabschiedet, wonach als erbkrank galt, wer unter angeborenem Schwachsinn litt, unter Schizophrenie, manisch-depressivem Irresein, angeborener Epilepsie, Chorea Huntigton, Blindheit und Taubheit, wer schwere erbliche körperliche Missbildungen hatte und schwer alkoholkrank war. Im Interesse der Volksgesundheit begutachteten Psychiater, wer zwangssterilisiert wurde. Im Jahr 1939 begann die Aktion T4, die organisierte Tötung dieser Menschen. Der Aktion T4 lag kein Gesetz zugrunde, nur ein Erlass. Man wollte erst ausprobieren, wie die Bevölkerung darauf reagierte, denn die Kranken besaßen einen „Affektionswert“, darauf hatten die beiden Professoren in ihrer Schrift vor 20 Jahren hingewiesen. Sie wurden von ihren Angehörigen gemocht, außerdem waren viele von ihnen aufgrund der Erfahrungen im ersten Weltkrieg psychisch krank geworden. Nur unter kritischster Beurteilung durch ärztliche Sachverständige und nur von Ärzten durchgeführt, durfte laut Erlass der „Gnadentod“ gewährt werden. Trotz der Einbindung von Medizinern und Juristen in die Aktion T4 gab es Proteste in der Bevölkerung, auch ein Vormundschaftsrichter protestierte, so dass die Tötung der Kranken inoffiziell zwar fortgesetzt wurde, durch verhungern lassen oder die Gabe von Medikamenten, auf eine gesetzliche Freigabe der Tötung wurde jedoch verzichtet. Die Lehre des Psychiaters Lombroso ging ein in das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“, das im Jahr 1933 verabschiedet wurde http://alex.onb.ac.at/cgicontent/alex?apm=0&aid=dra&datum=19330004&seite=00000995&zoom=2

 

2. Menschen wurden nunmehr nicht nur weggesperrt, um sie wegen der Begehung eines Unrechts zu bestrafen, sondern vorbeugend, um die Allgemeinheit vor zukünftigen Straftaten zu schützen. Der Freiheitsentzug war unbefristet, alle drei Jahre wurde von einem Gericht überprüft, ob sich der Verurteilte gebessert hatte. Bei Zweifeln bestand der Grundsatz „im Zweifel für die Allgemeinheit“ und es wurde die Fortdauer des Freiheitsentzuges angeordnet. Die Gedanken zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und zum vorbeugenden Wegsperren von Verbrechern gab es schon vor 1933, die Nationalsozialisten haben sie nur umgesetzt. Und aus welcher Zeit stammt die Aussage, dass es sich bei den seelisch Kranken im Grunde um eine „Negativauslese von Sadisten und Gefühllosen“ handele? Sie stammt vom ärztlichen Direktor einer psychiatrischen Klinik, dem im Jahr 2005 die Verdienstmedaille des Landes verliehen wurde. Michael Perez ist Patient der Klinik gewesen. Unsere heutige Sicht auf Menschen, denen Psychiater eine psychische Erkrankung attestieren, hat Tradition. Aus dem Gewohnheitsverbrechergesetzt ist der heutige § 63 StGB hervor gegangen, nach dem wir psychisch kranke Straftäter zur Sicherung und Besserung in einem psychiatrischen Krankenhaus unterbringen. Der Freiheitsentzug ist unbefristet, zum Schutz der Allgemeinheit vor zukünftigen Straftaten. Jedes Jahr wird von einem Gericht überprüft, ob sich der Verurteilte gebessert hat. Und im Zweifel? Im Zweifel, schrieb der Psychiater Prof. Dr. Norbert Nedopil, halte der Arzt an einer einmal gestellten Diagnose fest, bis sich ihre Falschheit erwiesen habe. Seine eigenen Gutachten seien etwa zu 50% falsch, sagte er, aber nur in einem von tausend Fällen habe er sich zu Lasten der Allgemeinheit geirrt. Im Zweifel wird auch heute die Fortdauer des Freiheitsentzuges angeordnet. Der Richter am Bundesgerichtshof meinte in seiner Kolumne zum § 63 StGB, wir würden uns mehr vor dem Verrückten fürchten als vor dem Bösen, weil wir das Böse eher verstehen könnten. Und wie sieht es aus mit dem Verstehen von uns selbst? Ein Artikel über Menschenversuche, die weder von bösen, noch von verrückten, sondern von normalen Menschen zum „Wohl der Allgemeinheit“ durchgeführt wurden, beginnt so: Die Atmung hielt bis 30 Minuten an. Bei 4 Minuten begann VP (die Versuchsperson) zu schwitzen und mit dem Kopf zu wackeln. Bei 5 Minuten traten Krämpfe auf, zwischen 6 und 10 Minuten wurde die Atmung schneller, VP bewusstlos, von 11 bis 30 Minuten verlangsamte sich die Atmung bis 3 Atemzüge pro Minute um dann ganz aufzuhören. Zwischendurch trat stärkste Cyanose [Blauverfärbung der Haut] auf, außerdem Schaum vor dem Mund.http://www.sueddeutsche.de/leben/menschenversuche-die-perversion-desheilens-1.926062

Es sind normale Mitarbeiter der Forschungsgesellschaften gewesen, Mitarbeiter der Institute und der Industrie, die Aufträge für die Menschenversuche formuliert und die Ergebnisse bearbeitet haben. Die Anordnungen der Versuche wurden von normalen Menschen geplant, gebaut, verkauft und gekauft, normale Menschen haben die Experimente durchgeführt. Auch über unseren Umgang mit Tieren können wir das Normale verstehen lernen, über unseren Umgang mit Lebendigem und der Natur:http://www1.wdr.de/fernsehen/wissen/quarks/sendungen/sbhuhnschnabelku erzen102.html

Wir quälen und vernichten, um maximalen Profit zu erzeugen. Es sind normale Menschen, die Methoden hierzu entwickeln, kaufen und verkaufen. Im Jahr 2014 haben wir 6.540 als seelisch krank oder abartig diagnostizierte Menschen nach § 63 StGB unbefristet untergebracht, zu ihrer Besserung und unserer Sicherheit. Wir wissen, dass im Durchschnitt 85% der Gutachten, die ihnen eine Gefährlichkeit bescheinigen, falsch sind. Etwa 5.500 Menschen haben wir die Freiheit zu Unrecht entzogen. Macht nichts. Wenn sie selbst nicht wissen was Unrecht ist, werden sie auch nicht mitbekommen, wenn ihnen Unrecht geschieht. Wegen des Defektzustandes. Wir bringen sie ja nicht mehr um, im Gegenteil, wir bezahlen eine Menge Geld für sie. Im Durchschnitt 350 Euro Pro Tag und Kopf. Das macht bei 6.540 Menschen die Summe von 835.485.000 Euro allein im Jahr 2014 und damit ist dann aber auch mal gut. Sie sind eben potentiell gefährlich und sie sind krank und werden gar nicht wahrnehmen wie und wo sie leben. Seit Jahr und Tag werden Untersuchungen zur Gefährlichkeit psychisch kranker Menschen durchgeführt, weltweit und immer mit dem gleichen Ergebnis. Die letzte und bisher größte Studie wurde im Jahr 2009 abgeschlossen: Psychisch kranke Menschen sind nicht gefährlicher als die Allgemeinbevölkerung, http://ki.se/en/news/schizophrenia-does-not-increaserisk-of-violent-crime

„Der hinterhältige Jude“, „der dumme Neger“, „der gefährliche Geisteskranke“ – Vorurteile sind das. Krank sein heißt leidend sein und nicht gefährlich sein. Wann immer wir eine grausame Tat als krank bezeichnen, leisten wir dem Vorurteil und der Ausgrenzung von Menschen Vorschub. Der Psychiater Prof. Dr. Kröber nannte den Massenmörder Anders Breivik „einen von unseren“ und tatsächlich, die ersten Gutachter kamen zu dem Ergebnis, der Mörder sei schizophren, sein Wahn bestehe in rechtsradikalem Gedankengut. Breivik hatte Glück, die Öffentlichkeit schaute auf den Prozess, es wurde nachuntersucht. Nein, rechtsradikales Gedankengut ist kein schizophrener Wahn, es ist gesellschaftlich verbreitet und war Gedankengut von Mördern schizophrener Menschen. Es ist wie damals. Bei den Überlebenden der Menschenversuche und Konzentrationslager, die aufgrund der Gräuel psychische Störungen entwickelt hatten, wurde eine „Rentenneurose“ diagnostiziert, der Versuch sich Leistungen vom Staat zu erschleichen. Psychiatrische Praxis ist die Verhöhnung jeglichen psychischen Erlebens.

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