mit dem Sohn wandern:

Aus: Ausgabe vom 31.05.2017, Seite 11 / Feuilleton

Im Freudhaus, Berggasse 19, Wien

Von Wiglaf Droste

für Finn Möhle

Mit dem eigenen Sohn gemeinsam durch die Wohnung Sigmund Freuds wandeln,durch das Geburtshaus der avancierten Seelenerforschung:

eine sensationelle Zivilisierungserfahrung,

und auf einmal, intuitiv, verstehst du die Botschaft:

Ich bin über zehntausend Jahre alt, und mein Name ist Mensch.

Alle Neurosen verwandeln sich in die Rosen, die sie sind,

und siehe: Was für ein prachtvoll knospender Strauß!

Im Arbeitszimmer hängt, denn Arbeit ist tätige Liebe,

am Fensterknauf ein Spiegel,

worin Freud seinen Gesichtskrebs begutachtete.

Schaust du hinein, erkennst du dich:

ein vertrauter Fremder, ein Wesen voller Gründe und Abgründe,

ein Meer der Möglichkeiten nicht endender Überraschung, unerschütterlich erschütterbar,

Narbe an Narbe wachsend,

und nicht etwas Hybrides wie der »Ozean der Weisheit«;

das ist die Übersetzung der Trottelbrabbelworte »Dalai Lama«.

Und während das Lama sich selbst widerkäuend dalait und dabei dawai dawai spukt und speit,

fällt Leben dich an und du weißt: Hier, in Wien, empfängst du dich,

Beilage Kinder, 3105

ein Tropfen der Erkenntnis im Ozean der eigenen Unwissenheit,

doch ein Großes ist gnädig und bringt dich zur Welt und schenkt dir, großzügig, das Größte:

Leben und Sprache und Liebe.

Gott schuf die Frau, auf dass er Freud habe an seiner staunender Freude;

ein Komplex an Anmut und Schönheit in Hülle und Fülle.

Durch Wiener Mainachten schwebst du,

da ist das Ballhaus, Vienna heißt es;

eine Frau siehst du, mit einem Mund, für die der Papst den Petersdom niederbrennen würde,

in seinem ersten und einzigen lichten Moment.

Das Tor wird dir aufgetan, und da steht sie,

die Frau, ein rotes Kleid ist ihre schimmernde, leichte Rüstung,

Hannah ist ihr Name,

und sie sagt: Moagst a Würstl?,

und der Himmel geht auf, und die Erde, so scheint dir, verschlingt dich.

Hier ist sie, die Rahel-Zone,

das blühende glühende Universum,

und dein Herz, prallvoll und prickelnd, geht zur Quelle und schlägt

kraftvoll und laut wie ein Hammerwerk,

und du spürst jede Sekunde; dafür allein lebst du.

Gott, beglückt ermattet von den Freuden der Schöpfung,

schuf, mit der Weisheit des ältesten Juden, der ER ist,

auf den letzten Tropfen noch auch dich, den Mann:

Den Frauen zur Freude bist du geschaffen, sonst lebst du nicht.

Wer nicht mit Stolz zu knien weiß,

hat die Stärke und Freiheit nicht, sich zu meistern.

Wie will der seinen Geist wahrhaftig begeistern?

Der erste Mann auf der Welt war, es muss so sein, Westfale;

selbst halb Kartoffel, halb Rübe, doch befähigt zum Erkennen und Staunen angesichts irdischer Schönheit,

ausgestattet mit einer Sprach-Art,

auf dass er die Welt zum Sprechen bringe, zum Klingen statt zu Klingen, die man kreuzt:

Kack dir mal nicht auf den Dömmel und verdirb nicht die Klarheit der Welt.

Siehe, da ist die Frau, Gottes Erstes Werk, und nun sprich die Worte der Liebe:

Poah, ich könnt’ mir direkt unters Kinn pissen!

Und dieses tue, wie alles, das du tust, nach Kräften,

zur höheren Ehre der Schöpfung.

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